Ehrenamtlich ausgeführte Geschäftsführung des Vorstands einer gemeinnützigen Stiftung kann auch sozialversicherungspflichtig sein, unterstreicht das BSG in neuem Urteil v. 24.2.2021 – B 12 R 15/19 R
Das Bundessozialgericht (BSG) äußert sich erneute sich am 24.2.2021 zur Sozialversicherungspflicht von Organmitgliedern, die ehrenamtlich tätig sind. Zuletzt hatte das BSG mit Urteil v. 16.8.2017 – B 12 KR 14/16 R festgestellt, dass für Aufwandsentschädigungen eines Vorstands der Kreishandwerkerschaft keine Beiträge zur Sozialversicherung anfallen. Die neue Entscheidung ergänzt nun, dass eine Beitragspflicht nicht allein dadurch ausgeschlossen wird, dass die Satzung der Stiftung vorsieht, dass die Amtsführung des Vorstands ehrenamtlich erfolgt und an die Verfolgung gemeinnütziger Zwecke gebunden ist. Vielmehr ist im Einzelfall zu prüfen, ob die Tätigkeit typische Geschäftsführungsaufgaben betrifft, die objektiv zu Erwerbszwecken ausgeübt wird.
Dem Urteil v. 24.2.2021 lag folgender Sachverhalt zu Grunde:
Die rechtsfähige gemeinnützige Stiftung bürgerlichen Rechts wendet sich gegen die Statusfeststellung der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung gem. § 7a SGB IV. Satzungsgemäßer Zweck der Stiftung ist die Förderung von Wissenschaft, Forschung und sozialer Projekte. Sie hat einen dreiköpfigen Stiftungsvorstand, bei dem im Rahmen der Gesamtvertretung stets eine Absprache unter den Vorstandsmitgliedern zu erfolgen hat.
Das von der Statusfeststellung betroffene Vorstandsmitglied übernahm neben der reinen Repräsentation und den Organaufgaben auch typische Tätigkeiten eines Geschäftsführers. Diese umfassten insbesondere die laufende Bearbeitung von Förderanträgen, Entwurf laufender Budgetplanung für bestehende und künftiger Projekte, Erstellung des Jahresabschlusses sowie des Geschäftsberichts und das Projekt-Controlling.
Die Stiftungssatzung legte fest, dass ihre Vorstandmitglieder ehrenamtlich tätig werden und daneben einen Aufwendungsersatz einschließlich einer Vergütung ihres Zeitaufwands (i.H.v. 75 € / Std.) beanspruchen können. Im fraglichen Zeitraum erfolgten jährliche Zahlungen an das betroffene Vorstandsmitglied zwischen 20.000 € und 60.000 €.
Die Deutsche Rentenversicherung Bund beschied auf Antrag, dass das betroffene Vorstandsmitglied im Rahmen seiner Vorstandstätigkeit bei der Stiftung abhängig beschäftigt war und somit für die Tätigkeitsvergütung Beiträge zur Sozialversicherung angefallen waren. Das Sozialgericht Köln (Urteil S 22 R 749/16 v. 4.5.2017) und das Landessozialgericht NRW (Urteil L 8 R 398/17 v. 27.2.2019) wiesen die Klage der Stiftung gegen die Beitragspflicht ab.
Die Entscheidung:
Das BSG schloss sich dieser Rechtsauffassung an (bisher liegt noch keine ausführliche Begründung vor, vgl. aber Terminbericht Nr. 6/21 vom 24.2.2021).
Eine Tätigkeit des Vorstandsmitglieds unterliegt der Beitragspflicht zur Sozialversicherung, wenn sie entgeltlich erfolgt und eine weisungsgebundene abhängige Beschäftigung vorliegt.
Weisungsgebunden wird nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts jede Tätigkeit ausgeführt, die nach Weisung erfolgt und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers voraussetzt. Es ist anerkannt, dass auch mit einem hohen Maß an Eigenverantwortung ausgeführte Führungsaufgaben eines Gesellschaftsorgans eine abhängige Beschäftigung darstellen können. Sie verdichtet sich dann zu einer sog. funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess, vgl. hierzu bereits BSG-Urt. 12 RK 33/76 v. 30.11.1978, BSGE 47, 201, betr. Vorstandsvorsitzenden eines Wasser- und Bodenverbandes.
Ein Stiftungsvorstand ist nach der Rechtsprechung dann weisungsgebunden tätig, wenn er bei der Ausführung seiner geschäftsführenden Tätigkeit (die über eine bloße Ausübung von Organ- und Repräsentationsaufgaben hinausgeht), der Konsenspflicht der Vorstandsmitglieder unterliegt. Zugleich unterliegen alle Vorstandsmitglieder selbstverständlich stets der Bindung an den Stifterwillen. Dass in der Stiftung kein anderes Organ dem Vorstand Weisungen erteilen könnte, hielt das BSG für unerheblich. Somit habe das einfache Mitglied eines dreiköpfigen Stiftungsvorstands nicht die erforderliche Rechtsmacht, ihm nicht genehme Vorgaben oder Weisungen des Vorstands seine operative Tätigkeit betreffend (z.B. beim Wirtschaftsplan) jederzeit zu verhindern.
Auch die Voraussetzung der Entgeltlichkeit bejahte das BSG unter Verweis darauf, dass allein die satzungsmäßige Bezeichnung als Ehrenamt oder eine vorgesehene Entschädigung „honoris causa“ einer Entgeltlichkeit nicht entgegenstehe. Zwar sei es unschädlich, wenn der Vorstand von der Stiftung Aufwandsentschädigungen erhalte. Diese dürften aber nicht die Grenze einer marktgerechten Vergütung erreichen. Das BSG unterstrich, dass auf einen Erwerbswillen oder eine sonstige Lebensunterhaltssicherung des Vorstands nicht erheblich ankomme.
Der Gesetzgeber hat keine allgemeingültigen Obergrenzen zur Abgrenzung des Ehrenamts festgelegt. Das Landessozialgericht hatte verschiedene normative Grenzbeträge in seine Evidenzkontrolle einbezogen, was das Bundessozialgericht ausdrücklich nicht beanstandete. Das Gericht unterstrich aber seine bisherige Rechtsprechung, wonach es eine Konkretisierung pauschaler Obergrenzen für ehrenamtsunschädliche Zuwendungen ablehnte. Dies verböten schon die im Einzelfall sehr unterschiedlichen Tätigkeitsfelder eines Stiftungsvorstands. Im entschiedenen Fall lagen die jährlichen Zahlungen jedenfalls deutlich über den Zuwendungen, die dem Charakter als Aufwendungsersatz, Aufwandsentschädigung oder Verdienstausfallersatz entsprächen.
In seiner Entscheidung vom 27.2.2019 verwies das LSG NRW im Rahmen seiner Evidenzkontrolle auf folgende Normen zur Ehrenamtlichkeit:
– Organmitglieder des Vereins unterliegen einer Haftungsprivilegierung in Höhe von 720 € p.a., § 31a Abs. 1 S. 1 BGB,
– die Steuerfreigrenze für Einnahmen aus ehrenamtlicher Tätigkeit beträgt ebenfalls 720 € p.a. bzw. 840 € ab 1.1.2021, § 3 Nr. 26 Buchst. a) EStG,
– die Umsatzsteuerbefreiung für ehrenamtliche Tätigkeit gem. § 4 Satz 1 Nr. 26 Buchst. b) UStG setzt voraus, dass lediglich Auslagenersatz und eine angemessene Entschädigung für Zeitversäumnis gezahlt werden. Lt. BMF-Rundschreiben v. 27.3.2013 (BStBl. I S. 452) ist eine Entschädigung von bis zu 50 € je Tätigkeitsstunde regelmäßig als angemessen anzusehen, sofern die Vergütung für die gesamte ehrenamtliche Tätigkeit nach § 4 Nr. 26 Buchst. b) UStG 17.500 € p.a. nicht überschreitet,
– für Vorstands- bzw. Verwaltungsratsvorsitzende eines Sozialversicherungsträgers mit bis zu 50.000 Versicherten wird nach der Gemeinsamen Empfehlung für die Entschädigung der Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane in der Sozialversicherung v. 1.10.2015 das 2 bis 4fache des einfachen Satzes von 70 € pro Sitzungstag, d.h. max. 280 € pro Sitzungstag gezahlt,
– In NRW habe der 1. stellvertretende Bürgermeister einer Stadt mit 50.001 bis 150.000 Einwohnern/innen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1. i.V.m § 1 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a) der Verordnung über die Entschädigung der Mitglieder kommunaler Vertretungen und Ausschüsse vom 5.5.2014 (GV. NRW. S. 276) in der Fassung vom 20.06.2017 (GV. NRW. S. 649) einen Anspruch auf Aufwandsentschädigung von monatlich 1.600 €.