Mit Urteil vom 27.9.2018 (veröffentlicht am 12.12.2018) hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden, dass ein Verein, dessen Zweck in der Förderung des Schießsportes – insbesondere des sog. IPSC-Schießens (International Practical Shooting Confederation) besteht, die satzungsmäßigen Anforderungen an die Feststellung der Gemeinnützigkeit erfüllt.
Worum es ging:
Geklagt hatte ein gemeinnütziger Verein, dessen satzungsmäßiger Zweck die „Förderung des Schießsports“ war. Insbesondere förderte er das sog. IPSC-Schießen (International Practical Shooting Confederation) und sonstiges Sportschießen nach den Regeln des Bundes Deutscher Sportschützen 1975 (BDS). Seinen Vereinszweck verwirklichte er insbesondere mit der Durchführung von Schießveranstaltungen, insbesondere dem Übungsschießen und der Teilnahme an und dem Ausrichten von Vereinsmeisterschaften. Das IPSC-Schießen gehört zu einer Disziplingruppe des Bundes Deutscher Sportschützen. Anders als beim statischen Schießsport, bei dem der Schütze an einem festen Platz steht, wird das IPSC-Schießen dynamisch ausgeübt: Der jeweilige Schütze absolviert in möglichst kurzer Zeit einen festgelegten Parcours mit verschiedenen Zielen. Geschossen wird auf abstrakte Zielscheiben (einfarbige achteckige Pappscheiben mit verschiedenen Trefferzonen) oder auf runde/längliche Metallplatten. Für das IPSC-Schießen existiert ein umfassendes Regelwerk des Bundes Deutscher Sportschützen. Nach diesem Regelwerk des BDS ist es u.a. verboten, im Laufen zu schießen oder den Parcours so aufzubauen, dass das Schießen aus Deckungen erfolgt oder ein schnelles Reagieren auf plötzlich und überraschend auftauchende Ziele gefordert wird. Der Verein beantragte mit Schreiben vom Juli 2015 beim Finanzamt (FA) die gesonderte Festsetzung der satzungsmäßigen Gemeinnützigkeit (§ 60a AO). Das FA lehnte den Antrag ab, weil es sich beim IPSC-Schießen um keine die Allgemeinheit fördernde Sportart handele. Nach erfolglosem Einspruch gewann der Verein die Klage gegen die Ablehnung des Finanzamtes. Das Finanzamt wandte sich hiergegen wiederum mit seiner Revision an den Bundesfinanzhof (BFH).
Was der Bundesfinanzhof sagt:
Der BFH weist die Revision des Finanzamtes zurück und Bestätigt die Gemeinnützigkeit des Vereins. Der Vereinszweck „Förderung des Schießsports, insbesondere IPSC“ entspricht nach Ansicht der Richter den gemeinnützigkeitsrechtlichen Erfordernissen. Gemeinnützige Zwecke werden verfolgt, wenn die Vereinstätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern. Nach § 52 Abs. 2 Nr. 21 AO wird „die Förderung des Sports (Schach gilt als Sport)“ als solche Förderung der Allgemeinheit anerkannt. Hierunter fallen alle Betätigungen, die die allgemeine Definition des Sports erfüllen und der körperlichen Ertüchtigung dienen. Das ist beim IPSC-Schießen der Fall: Es verlangt körperliche Anstrengungen (schnelles durchlaufen des Parcous) sowie dem persönlichen Können zuzurechnende Kunstbewegungen (präzise Schussabgabe), das Geschick im Umgang mit der Waffe sowie Konzentrationsfähigkeit und Körperbeherrschung. Sport dient der Gesundheitsförderung und dem Abbau von Aggressionen in friedlichem Wettbewerb. Außerdem verstößt das IPSC-Schießen nicht gegen die Werteordnung des Grundgesetzes oder die Rechtsordnung. Anders als beim Paintball/Gotcha wird keine kriegsähnliche Situation nachgestellt, es müssen keine „Gegenspieler „eliminiert“ werden oder Flaggen verteidigt oder erobert werden. Schließlich sind die Ziele beim IPSC-Schießen in keiner Weise der menschlichen Gestalt ähnlich, vielmehr darf nur auf Papp- oder Metallziele geschossen werden, die eine runde/ovale oder achteckige Form aufweisen. Im Ergebnis unterscheidet sich das IPSC-Schießen als sportliches Schießen sowohl in der Planung als auch in der Durchführung und Ausgestaltung grundlegend vom kampfmäßigen Schießen.
Was das bedeutet:
Das Urteil des BFH ist praxisrelevant, weil sich die Richter umfänglich mit der Frage befassen, ob und wann Sportarten, denen der Verdacht anhaftet, sie seien „kriegerisches Spiel“ noch als das Allgemeinwohl fördernd und damit als gemeinnützig anzusehen sind. Während das Finanzamt vermutlich mangels genauer Befassung mit dem Regelwerk des ISPC-Schießens heraus zur Einschätzung gelangte, bei diesem handele es sich ähnlich wie beim Paintball-Schießen um eine Tätigkeit, die nicht mit der deutschen Werteordnung im Einklang steht, geht der Bundesfinanzhof differenziert vor: Er sieht beim ISPC-Schießen klar den sportlichen und gesundheitlichen Faktor im Vordergrund, weil sich die Sportler nach einem klaren Regelwerk körperlich betätigen. Ein „kriegerisches Element“ sei – anders etwa als beim Paintball-Spiel – nicht gegeben. Auf das Urteil kann sich daher immer dann berufen werden, wenn das Finanzamt den Ansatz vertritt, etwaige Sportarten seien „gegen die Werte- oder Rechtsordnung“ gerichtet, ohne dass ein Verbot hinsichtlich der jeweiligen sportlichen Betätigung existiert.
Sonstiges:
Es stellt sich mir hier die Frage, warum überhaupt ein Verstoß gegen die Werte- oder Rechtsordnung darin zu sehen sein soll, dass eine sportliche Betätigung Ähnlichkeiten mit Handlungen aufweist, wie sie im Rahmen kriegerischer Auseinandersetzungen oder einer Konfliktbewältigung auftreten. Jedes Cowboy- und Indianerspiel im Kindergarten ließe sich hiernach als Verstoß gegen die Werte- und Rechtsordnung einordnen, da hierin der fehlerhafte seinerzeitige Umgang der Kolonialmächte mit der indigenen Bevölkerung zum Ausdruck kommt. Dieser wird von der heutigen Werteordnung nicht gedeckt. Ein gemeinnütziger Kindergartenträger müsste bei Duldung entsprechender Spiele den Verlust der Gemeinnützigkeit befürchten. Das Spielen von Brettspielen wie „Risiko“, „Flottenmanöver“ (landläufig als „Schiffe versenken“ bezeichnet) oder „Stratego“ wären gleichfalls als Verstoß gegen die Rechtsordnung einzuordnen. Das klassische „Reuber und Gendarm-Spiel“ könnte als unkritische Auseinandersetzung mit der staatlichen Sanktionsordnung oder als „Glorifizierung“ der Unterwelt (manche Kinder wählen lieber die Rolle des Reubers als des Gendaremen) (fehl-)interpretiert werden. Im Vordergrund steht jedoch bei keinem dieser Spiele das „Zerstören anderer in kriegerischer Absicht“ oder das Ergreifen oder Vertreten einer irgendwie gearteten „politischen“ Position oder der Wille, jemanden zu diskriminieren. Vielmehr geht es alleine um das strategische Planen, die körperliche Bewegung und den Spielspaß. Beim ISPC-Schießen ist dies ähnlich, was das Regelwerk des Bundes Deutscher Sportschützen anschaulich darlegt: Vorrangig geht es um den sportlichen Wettkampf und das Schießen unter Bewegung (sog. dynamisches Schießen). Das belegt die Durchführung von mehr als 350 internationalen Wettkämpfen jährlich. Durch den sportlichen Wettkampf wird die Gesundheit Einzelner und mithin auch der Allgemeinheit gefördert. Könnten etwaige Begleitumstände diesen Nutzen zerstören wären auch solche Sportarten nicht als das Gemeinwohl fördernd anzusehen, bei denen es zu Sportwetten kommt. Denn der positive Effekt des Sportes auf die Gesundheit der Sportler würde durch die destruktive Wirkung des Glückspiels auf andere aufgezehrt. Es bliebe dann die Frage, wo die Grenzen zu ziehen sind.
Az.: BFH-Urteil V R 48/16 vom 27.9.2018.